Wenn das Mutterherz gefriert.


Liebe Freundinnen und Freunde des Hospizes Schöneberg-Steglitz,

viele unserer Ehrenamtlichen berichten von den irritierten oder befremdeten Reaktionen von Familie oder Freunden, wenn sie ihnen von ihrem Vorhaben erzählen, ehrenamtlich im Hospiz mitzuarbeiten und auch als Hauptamtlicher überlegt man sich manchmal genau, wie man auf einer ausgelassenen Party die Frage nach dem Beruf beantwortet. Viele Menschen möchten dem Themo am liebsten aus dem Weg gehen, und dennoch wirkt unser Engagement mal still und leise, mal mit einem Paukenschlag in unser soziales Umfeld hinein.

In unserer Funktion als Multiplikatoren regen wir ohne unser Zutun Freunde und Familie zum Nachdenken an oder werden. wenn jemand schwer krank wird, als Experten wahrgenommen und zu Rate gezogen. Dass dies zu anrührenden, lustigen und skurrilen Situationen führen kann, davon erzählen die Autorinnen unseres neuen Newsletters.


Natürlich werde ich oft auf meine ehrenamtliche Tätigkeit als Sterbebegleiterin angesprochen. Ich sehe da viel ehrliches, aber zaghaftes Interesse in meinem Umfeld. Und manchmal auch die Möglichkeit, den Funken des Hospizgedankens ein Stückchen weiterzutragen und vielleicht sogar vereinzelt Berührungsängste abzubauen, indem ich über meine persönlichen Erfahrungen berichten darf.


Dass meine Arbeit für das Hospiz ganz selbstverständlich mit meinem Alltagsleben verwoben ist, vergesse ich aber auch manchmal oder bemerke es nicht in besonderer Weise, denn für mich ist das ganz natürlich. Hin und wieder kommt es jedoch zu Situationen, da trete ich innerlich einen Schritt zurück, beobachte die Dialoge innerhalb meiner Familie und denke: "Au weia, echt jetzt?!"

Zum Beispiel als Sohn Zwei aus der Schule nach Hause kam und stolz verkündete: »Heute habe ich Frau Meyer zum Weinen gebrachte ich schluckte betreten und dachte: "Oha, da wird man uns wohl zum Elterngespräch in die Schule bitten!" Auf meine interessierte Nachfrage, was denn genau vergefallen sei, erzählte Sohn Zwei, es sei in Unterrichtsgespräch um ehrenamtliches Engagement gegangen und da habe er sich sogleich gemeldet und von seiner Mutter berichtet, die im Hospiz als Sterbebegleiterin tätig ist. Die Lehrerin, Frau Meyer, ermunterte ihn, ausführlicher zu schildern, was das denn bedeute. Und offenbar hat mein Sohn sehr gut verstanden, was Sterbebegleitung ist und wie gern seine Mutter diese Aufgabe erfüllt, denn er berichtete darüber in seiner 5. Klasse wohl so inbrünstig, dass die Lehierin dabei in Tränen der Rührung ausbrach. Da war ich schon stolz auf ihn, dass der Umgang mit dem Thema für ihn so selbstver-ständlich zu sein scheint.

Wie selbstverständlich allerdings, das erfuhr ich just letzte Woche, als ich zufällig Zeugin eines Tischgespräches zwischen Sohn Eins und Sohn Zwei wurde. Die beiden saßen im strahlenden Sonnenschein beieinander und unterhielten sich angeregt und sehr ernsthaft darüber, wie sie im Falle ihres Ablebens denn bestattet werden wollten. Die beiden Jungs haben selbst schon einige Male mit dem Thema zu tun gehabt, in der Familie und im Freundeskreis. Sie kennen die Rituale und wissen, dass es individuelle Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Mir aber gefror in diesem Moment mein Mutterherz.

Sohn Zwei weist eine große Affinität zu stylischen Sneakern auf. Neue Turnschuhe bringen ihn in Verzückung. Insbesondere solche der Marke, die als Logo einen sogenannten Swoosh, einen geschwungenen Haken verwendet, unter dem das Motto »JUST DO IT!« zu lesen ist. "Ist doch ganz klar!", befand Sohn Eins, "Wenn du mal stirbst, male ich dir einen Swoosh auf deinen Sarg und schreibe drunter: JUST DID IT!" Großes Gelächter am Tisch. Sohn Zwei erachtete das als angemessen, und so wurde diese Idee jetzt für gaaaaaanz später mal zwischen den beiden beschlossen. Ein erster Entwurf wurde umgehend von Sohn Eins skizziert und ziert seitdem ganz harmlos unsere Kreidetafel im Flur. Damit können wir alle leben.

JUST DID IT.

Für Außenstehende mag das befremdlich klingen, aber ich bin dankbar dafür, dass die Menschen, denen ich im Hospiz begegne, mich lehren, mit der Anwesenheit des Todes zu leben, und dass ich mich weitgehend in einem Umfeld bewege, in dem der Tod und das Sterben Themen sein dürfen, über die offen gesprochen werden kann - manchmal geht das ganz leicht und manchmal fällt das sehr schwer. Und beides ist in Ordnung.


Lona Jerrentrup,

ehrenamtliche Mitarbeiterin

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